Max Ophüls

 

Es gibt keine Kunst ohne Irrtum


Max Ophüls und seine Filme – Der Namensgeber des Saarbrücker Festivals

„Fingerübungen, Fingerübungen“, sagte sein Saarbrücker Klavierlehrer, erst lange nach den Fingerübungen kommt die Melodie.“ Obwohl kein großes Musiktalent und eher widerwillig die erste Sonate von Beethoven ins Klavier hämmernd, hat Max Ophüls die eindringlichen Worte des Herrn Nellius nie vergessen. „Das Kino scheint gerade erst aus dem Alter der Fingerübungen heraus“, schrieb Ophüls Jahre später (1956): „Wir sind dabei, uns der Melodie zu nähern und manchmal kann man schon ein Thema heraushören. Ich will sagen: sehen. Aber immer wieder taucht etwas Neues auf, eine Erfindung, zwei, drei hintereinander und in kurzen Intervallen... Farbe, Dreidimensionalität, breite Leinwand; alles beginnt wieder von vorne, wo doch der Spaß an der Sache und den Schwierigkeiten des Spiels erst begonnen hat.“

1956, ein Jahr vor seinem Tod, hat Ophüls seinen letzten Film „Lola Montèz“ abgedreht. Vor seinem nächsten Filmabenteuer wollte er noch einmal tief Luft holen, nachdenken, Revuepassieren lassen, was ihn in 30 Jahren Filmkarriere verändert hat. Die meisten Filmkritiker hatten „Lola Montèz“ verrissen und wetterten im selben Tonfall wie die Zuschauer im „Mammouth-Zirkus“, die die Wegnahme des Sicherheitsnetzes forderten, bevor Lola noch einmal zum letzten großen Sprung ihrer Karriere ansetzt. Nicht nur in Paris wurde das Publikum gewarnt: „Vorsicht, dieser Film ist außergewöhnlich“. Noch ist Zeit, vor den ersten Bildern das Eintrittsgeld zurückzufordern.“ Die Zuschauer blieben zuhause. Die Produzenten betrachteten sein Schaffen mit noch größerem Misstrauen, denn die Unsummen, die seine Filme kosteten, konnten nur selten wieder eingespielt werden.

Nur eine kleine Schar von Cineasten und sonstiger Kenner der Filmbranche hielten ihm die Stange: Truffaut, Godard und Rivette, spätere Vertreter der „nouvelle vague“, erkannten in seinem Werk eine „Kinorenaissance“, die sich wohltuend abhebe von der „ausgeleierten Ästhetik“ aller damaligen Produkte des französischen Filmmarktes. Mit Reflektionen wie: „Der Film will heute seiner Sache sicher sein und das ist seine Krise. Früher, als er unsicher war und noch gefährlich, war er noch nicht gefährdet. Heute versucht er, ein erprobtes Unterhaltungsmittel zu werden, das sich seinen Konventionen zurechtbaut, auf die es sich verlassen kann, ängstlich Rückschau hält nach erprobten Rezepten, statt Ausschau nach dem Geheimnisvollen, von dem noch niemand weiß“, sprach Ophüls den jungen Filmautoren aus der Seele. In einem offenen Brief jubelten Cocteau, Becker und Rossellini damals im „Figaro“: „ ‚Lola Montèz’ gleicht in keinster Weise dem, was man heute vom Kino gewohnt ist. Dieser wichtige Film kommt zu einem Zeitpunkt, wo das Kino nichts dringender braucht, als einen frischen Wind.“

Am 6. Mai 1902 wurde Max Oppenheimer als Sohn jüdischer Eltern in Saarbrücken geboren. Früh entschied er sich für das Theater, wählte das Pseudonym Ophüls und debütierte als Schauspieler in seiner Heimatstadt. Seine ersten bescheidenen Erfolge hatte er aber nicht auf der Bühne, sondern hinter den Kulissen. Als Theaterregisseur mit Engagement in Berlin kam er schließlich zum Film. Er wurde Assistent von Anatole Litvak und machte seine ersten filmischen Gehversuche in den Studios der UFA. Natürlich profitierte der große Goethe-Verehrer in den ersten Jahren des Tonfilms von seiner Theatererfahrung. Schon 1932 feierte ihn das Publikum mit „Liebelei“, einem poetischen Stück nach Arthur Schnitzler. Kurz vor dem Reichtagsbrand verlässt Ophüls Berlin. Im Pariser Exil erhielt er –ein seltenes Privileg- die französische Staatsbürgerschaft und damit eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis. Acht Filme drehte er bis 1940. Weil ihm die Auslieferung durch die Vichy-Regierung drohte, bemühte er sich um ein Visum für die Vereinigten Staaten. Erst 1941 gelangte er, wie viele seiner Kollegen zuvor, nach Hollywood.

Die späte Ankunft erschwerte aber den Neuanfang in einer Stadt, vor der ihn Klaus Mann einst warnte: „Stell dir vor, du bist Bäcker und findest dich plötzlich auf einer Insel wieder, auf der es nur Bäcker gibt.“ Vier Jahre blieb Ophüls arbeitslos, aber selbst in den schwärzesten Jahren hat er die Hoffnung auf etwas Licht im Dunkel nie aufgegeben. Seine Hartnäckigkeit wird belohnt. Nach Kriegsende realisiert er vier Film in Hollywood, darunter das Meisterwerk „Letter from an unknown woman“ (1948) nach einer Novelle von Stefan Zweig.

Wieder in Paris, werden seine Filme „La Ronde“ (1950), „Das Vergnügen“ (1952) und „Madame de ...“ (1953) enthusiastisch gefeiert. Aber der Geschmack von Filmkritik und breitem Publikum ist unterschiedlich. Verbittert stellt Ophüls fest: „Die Masse hat keine ästhetische Geduld mehr. Man kann sich keinen Irrtum mehr leisten. Das Kino läuft mehr und mehr dem nach, was man den ‚etablierten Geschmack der Masse’ nennt.“ In einer Filmwelt, die sich technisch in atemberaubender Geschwindigkeit weiterentwickelt, hat Max Ophüls zunehmend Schwierigkeiten, seine ästhetischen Ansprüche umzusetzen. Farbfilm und Breitwandkino zwingen ihn, einmal mehr, sich in Frage zu stellen. Mit „Lola Montèz“ ist er seiner Kunst zwar treu geblieben, aber er scheint an einem Wendepunkt seiner Karriere angelangt. Wie soll es weitergehen? Max Ophüls zögert. Das Schicksal greift der Antwort vor. Am 26. März 1957 stirbt Ophüls in Hamburg, wo er im Schauspielhaus mit großem Erfolg „Figaros Hochzeit“ inszenierte. Seine Asche ruht auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise.

Mit seiner überschäumenden Energie, Risikofreude und Lebendigkeit („von unseren Cineasten hat keiner seine Kraft“ – Truffaut), bestärkte Ophüls alle „Filmabenteurer“ der fünfziger Jahre, die auf der Suche waren nachdem Film von „morgen“. Sein wichtigster Trumpf war die ständige Bereitschaft dazuzulernen, etwas Neues zu versuchen: „Woraus soll man denn lernen, wenn nicht aus seinen Irrtümern?“, sagte er. „Es gibt keine Kunst ohne Irrtum.“ Er suchte den Aufbruch. Der Gedanke, sich auf seinen Lorbeeren und seiner Erfahrung auszuruhen, war ihm zutiefst zuwider. „Die Türen des Kinos müssen immer weit geöffnet sein für das Unbekannte“, schrieb er in einem Essay. Ob er damals schon gewusst hat, wie aktuell seine Worte noch heute klingen?

Christoph Jörg in der Saarbrücker Zeitung, 12. Januar 1989.