Verleihung MAX OPHÜLS PREIS in Nantes erstmals 1966
Verleihung MAX OPHÜLS PREIS in Nantes erstmals 1966
Infos zum Film :
Der Junge Törless
Regie: Volker Schlöndorff, s/w, 87 Min., 1966
Nach dem Roman "Die Verwirrungen des Zöglings Törless" von Robert Musil
Der junge Törless verabschiedet sich auf einer einsamen Bahnstation von seinen Eltern. Er soll künftig im Internat erzogen werden, in einem großen, festungsähnlichen Gebäude, in dem die Zöglinge in dunkle Uniformen gekleidet leben und zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden sollen. Diese Erziehung beginnt bald. Im Internat lernt Törless drei Kameraden kennen: Beineberg, der intelligent, kalt und zynisch ist; Reiting, der intellektuell auf niedriger Stufe steht, aber Lust am Quälen von Schwächeren hat; Basini, der aus einer nicht sehr wohlhabenden Familie stammt; er ist weich, gerät immer wieder in die Rolle des Opfers. Als Reiting von Basini geliehenes Geld zurückhaben möchte, entwendet es Basini nachts von einem Kameraden. Der Diebstahl wird entdeckt, und die drei Schüler haben Basini in der Hand. Nachts wird er verhört.
Törless ist fasziniert und verwundert: Wie kann ein Mensch stehlen? Er sieht es noch theoretisch, ja philosophisch, so philosophisch, wie er den Mathematiklehrer nach dem Wesen der imaginären Zahlen fragt. Vom Lehrer wird er auf später vertröstet. Törless erfährt, daß die Quälereien Basinis auch einen sexuellen Hintergrund haben: Reiting und Beineberg, die Basini ausgesuchte Erniedrigungen zufügen, tun es halb aus Langweile, halb aus dumpfem pubertärem "Vergnügen". Törless zieht sich von den Quälereien zurück, aus Ekel und weil er gelernt hat, daß das Gute und das Böse, dessen Trennung er so sehr auf der Spur war, sich eben nicht trennen lassen. Beides steckt im Menschen, aber Beineberg und Reiting wollen sich nicht den letzten Triumph über den erniedrigten Basini versagen. Sie hetzen die Klasse auf: Basini wird halb zu Tode gequält. Törless kann sich über den Charakter solcher Typen wie Beineberg und Reiting nicht mehr täuschen und verläßt wenige Tage später auf eigenen Wunsch das Internat. Er sucht seine Beweggründe dem Kollegium deutlich zu machen. Das Urteil der Pädagogen: "Ein so überreizter Knabe wird unter sorgfältiger Aufsicht erzogen werden müssen.
Schlöndorff übernimmt Musils Dialoge fast wörtlich, und das gibt diesem Film einen gewissen literarischen Reiz. Andererseits ist Schlöndorff als "Zögling" des französischen Films in der Lehre vom "Autorenfilm" groß geworden; die literarische Vorlage ist weniger wichtig als die individuelle schöpferische Gesamtleistung des Autors bzw. Regisseurs. Es ist unverkennbar, daß das Interesse des Regisseurs besonders einem Aspekt gilt, dem univers concentrationnaire. Wo Musil im Leben dieser Schulgemeinschaft und im Fühlen dieser Klasse Ansätze zu gesellschaftlichen und individuellen Deformierungen sah, macht Schlöndorff es ganz deutlich: Einer der Schüler verlangt vom anderen "blinden Gehorsam"; einer der Quäler zieht aus den Quälereien sein Vergnügen; Beineberg möchte sich in Askese üben, in einer pervertierten Selbstbeherrschung gegenüber seinem Opfer; ist das nicht der Weg zum braunen Kultus der Herrenmenschen? Selbst die Bemerkung des Mathematiklehrer, "alles sei Gefühl, auch die Mathematik", weist in ihrer Antirationalität auf jene deutsche Gefühlswelt hin, die in den zwanziger und dreißiger Jahren der kühlen Vernunft den Rang ablief.
In den Charakteren der Quäler Beineberg und Reiting, wie auch im Opfer Basini, finden sich Verbindungen zur späteren politischen Entwicklung in Deutschland. Es wäre falsch, den JUNGEN TÖRLESS zur Schlüsselgeschichte für eine Prädisposition der deutschen Gesellschaft zu machen. Schlöndorff machte keinen Thesenfilm, sondern war sichtlich interessiert an der Zeichnung des Internatsmilieus, das ihm aus seiner Schulzeit her vertraut war. Das Leben in einer Gemeinschaft, mit den sich dabei herausbildenden Herrschafts- und Unterdrückungsformen, den Ritualen, gegen die man nicht ungestraft verstößt, wird von Schlöndorff vortrefflich wiedergegeben, ohne überflüssige Detailmalerei.
Die Intelligenz Schlöndorffs bewahrte ihn davor, einen "atmosphärisch dichten" Film zu drehen. Er bediente sich des Kunstgriffs Jean-Marie Straubs, teilweise auf Laiendarsteller zurückzugreifen (was sich gelegentlich nicht nur als förderlich erweist) und diese Darsteller einen literarischen, nicht auf angeblich natürliches Sprechen hin konzipierten Text wiedergeben zu lassen. Das Ergebnis ist die bekannte Verfremdung wie in NICHT VERSÖHNT oder DIE CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH. Aber es gelingt Schlöndorff, die Sprödigkeit der Filme Straubs zu vermeiden. Es wird also an den intelligenten Zuschauer appelliert, dem gerade die Weigerung des Regisseurs, mit herkömmlichen Mitteln Atmosphäre zu schaffen, einen Anstoß zum Denken geben soll. Sehr schön die unterkühlten, tonlosen Szenenschlüsse. Alles in allem ein stilistisch sehr sicherer Film von der Klasse Chabrols oder Malles.
(Goethe Institut) Jan Thorn-Prikker
Technische Angaben
Produktionsformat 35 mm
Laufzeit 87 Min., s/w
Produktion Franz Seitz / Nouvelles Editions de Films
Regie Volker Schlöndorff
Drehbuch Volker Schlöndorff, nach Robert Musil
Kamera Franz Rath
Musik Hans Werner Henze
Darsteller Mathieu Carrière, Bernd Tischer, Marian Seidowski, Barbara Steele
Die Saarbrücker Partnerstadt "Nantes" vergibt 1966 zum ersten Mal den Max Ophüls Preis an den deutschen Regisseur Volker Schloendorff für seinen Film " DER JUNGE TÖRLESS".